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Rassismus in Amerika: Respekt, was sonst, für die Schwarzen


Rassismus in Amerika
Respekt, was sonst, für die Schwarzen

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

20.08.2018Lesedauer: 5 Min.
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Aretha Franklin mit Barack und Michelle Obama: Die "Queen of Soul" hat oft bei historischen Anlässen in Washington gesungen.Vergrößern des Bildes
Aretha Franklin mit Barack und Michelle Obama: Die "Queen of Soul" hat oft bei historischen Anlässen in Washington gesungen. (Quelle: Charles Dharapak/ap)

Aretha Franklin stammte aus dem tiefen Süden und wuchs mit dem Gospelgesang ihrer Kirche auf. Die Hoffnung ihrer Generation war es, dass sich Schwarze und Weiße endlich versöhnen. Tun sie aber nicht.

Ich habe so ziemlich alle Nachrufe auf Aretha Franklin gelesen, weil mich immer interessiert, was von einem Menschen in unserer Erinnerung bleibt, der uns viel gegeben hat. Wunderbare Stimme, wunderbare Lieder. Zuletzt habe ich sie bei der Amtseinführung Barack Obamas gehört. Sie sang "My Country, ’Tis Of Thee", sehr patriotisch, sehr religiös. Es passte zu diesem Tage, als Amerika versöhnlich gestimmt zu sein schien, weil ein schwarzer Präsident ins Weiße Haus einzog.

Der Zufall wollte es, dass ich an ihrem Todestag ein Buch las, das ein schwarzer Intellektueller namens Ta-Nahesi Coates geschrieben hat. Es heißt: "We were eight years in power" und ist nicht nur ein Rückblick auf Barack Obamas Präsidentschaft, sondern ein tiefenscharfes Nachdenken über den Rassenkonflikt, der immer da war und nicht vergeht. Denn die Versöhnlichkeit, damals 2009, war nur ein Trugbild, an das wir alle gern geglaubt haben. Donald Trumps weißes Amerika sorgt für hohnlachende Richtigstellung.

Ich mag vieles an Amerika, immer noch. Großes Land, fantastische Natur, unendlich viele unendlich kluge Menschen. Den ewigen Rassenkonflikt habe ich allerdings nie verstanden. Er schien mir nur ein vergänglicher Makel zu sein, ein Irrtum, der von weither aus der Geschichte gekommen ist und revidiert werden wird, sehr langsam, leider, aber am Ende eben doch. Heute denke ich: Weiß gegen Schwarz, das vergeht nicht. Das bleibt. Es gehört zu Amerika. Es ist Amerika. Eine schreckliche Tragödie, die sich im Leben Aretha Franklins widerspiegelt.

"Sie waren nichts": Aretha Franklin stammt aus Tennessee

Sie kam 1942 in Memphis in Tennessee auf die Welt. Schwarze waren im tiefsten amerikanischen Süden rechtlos, sie waren nichts. Segregation nannten sie es, wenn schwarze Mädchen auf Schulen für Schwarze gehen mussten, wenn sie im Bus hinten sitzen mussten, wenn ihnen in jedem Augenblick in jeder Situation die Weißen bedeuteten, dass sie minderwertig seien, Schwarze eben, von Natur aus dümmer und von Gott auserkoren, den Weißen zu dienen und unter deren Peitsche zu leben.

Arethas Vater war ein Baptistenpastor, dessen sonntägliche Predigten auf Platten aufgenommen wurden und landesweit kursierten; in den schwarzen Gemeinden war er eine Berühmtheit. In den Kirchen ging es um Religiosität, um das Einschwingen der Gemeinde in den gemeinsamen Gesang, der vom Leid hienieden und vom Trost im Jenseits handelt. Mindestens genauso existenziell wichtig waren aber das Soziale, das Eintauchen in die Gruppe aus Ihresgleichen, und natürlich auch das Politische. Martin Luther King kam vorbei, Vater Franklin war mit ihm befreundet. Der Rassismus der Weißen war ihre Pein, ihr Joch, ihr Leben. Sie wollten, dass Amerika sich ändert. Sie wollten, dass der Rassismus aufhört irgendwann.

Als Aretha vier war, zog die Familie zuerst nach Buffalo und dann nach Detroit. Der Norden war für Millionen Schwarze aus dem Süden seit dem Bürgerkrieg das bessere Land. Sie zogen dorthin in der Hoffnung auf freie Arbeit und weniger Rassismus. Aber dort war es nur anders. Die Segregation setzte sich durch schlechter bezahlte Jobs und durch die Wohnungspolitik der Städte und Gemeinden fort. Die Schwarzen blieben in den Innenstädten, die Weißen zogen in die Außenstädte.

Aretha war 6, als sich ihre Eltern trennten. Sie blieb bei ihrem Vater. Sie wuchs mit den religiösen Erweckungsliedern in der Kirche auf. Sie war knapp 12, als sie mit ihm auf Tour ging. Er predigte, der Gospelchor sang, Aretha spielte Klavier, ihre Stimme ragte schon damals heraus, und die Gemeinden stimmten ekstatisch ein, wie das üblich war. Dann wurde sie schwanger und bekam zwei Tage vor ihrem 13. Geburtstag einen Sohn. Zwei Jahre später war es wieder so weit, wieder ein Junge. Wer der Vater oder die Väter waren, behielt sie zeitlebens für sich.

"Respect": die Gospelhymne des schwarzen Befreiungskampfes

Sie brach die Schule ab. Aber sie hatte ja ihre Stimme, dieses Geschenk von ihrem Gott. "Respect" hat sie 1967 aufgenommen, da war sie 25 Jahre alt. Es ist wahr, es ist ein Liebeslied, aber mehr noch ist es der Ewigkeitsschrei der Schwarzen, die Achtung einfordern, menschliche Achtung, moralische Achtung. Von den Weißen. Und es ist schwarze Selbstermächtigung: Wie jeder Mensch haben wir Anspruch auf Respekt.

In den Jahren, in denen Aretha Franklin heranwuchs, Kinder gebar und Platten aufnahm, bereitete sich vor, woraus dann trotz Ku-Klux-Klan, trotz rassistischer Gouverneure/Richter/Sheriffs, trotz Mords/Lynchmobs/Vergewaltigungen die schwarze Bürgerrechtsbewegung erwuchs. Gewaltfrei demonstrierte sie gegen die rohe Gewalt. Sie wurden geschlagen, eingesperrt, zu Gefängnisstrafen verurteilt. Sie hatten die geballte rassistische Macht der Südstaaten gegen sich. Die Regierung in Washington schickte die Nationalgarde. So bekamen die Schwarzen am Ende ihr Recht, aber keinen Respekt, denn der Rassismus verging nicht, vergeht nicht, er ändert nur seine Mittel.

Die Musik und auch der Sport sind die sozialen Sphären, in denen am ehesten Ruhm und Anerkennung finden können, auch materiell. Welche Hautfarbe sie haben, wird dann plötzlich weniger wichtig. Die Konzerte von Aretha Franklin oder Whitney Houston besuchten Schwarze wie Weiße. Die Basketballstars LeBron James oder Stephen Curry werden von Weißen wie von Schwarzen bewundert. Nur so lässt sich die Rassentrennung in Konzerten und Sportarenen vergessen: für einen Augenblick.

Aretha Franklin hat sich durchgesetzt

Was Aretha Franklin aus sich machte, ist auf ihrem biografischen Hintergrund noch grandioser. Was sie erreichte, wird erst dann richtig eindrucksvoll, wenn man sich das schwarze Mädchen in Detroit vor Augen hält, das zwei kleine Kinder hat und sich mit riesiger Anstrengung und ungewöhnlicher Kraft in die Queen of Soul verwandelt. "I never loved a man, the way I love you" war die Schmerzenshymne für alle Liebenden, "Respect" die Gospelhymne des schwarzen Befreiungskampfes.

Tolle Stimmen haben viele. Begabung gibt es reichlich. An Aretha Franklin aber bewundere ich das große Obwohl: Obwohl ich schwarz bin, werde ich berühmt. Obwohl ich aus Memphis und Detroit komme, setze ich mich in New York durch. Mit dem großen Obwohl in einem weißen Land, das den Rassismus nicht los werden will oder kann oder beides, hat sie uns mit ihrer herrlichen Stimme herrliche Lieder geschenkt.

Als sie 2009 für Obama "My Country, ’Tis Of Thee" sang, war das ein herzerwärmender Augenblick mit gewaltiger Symbolkraft: Eine schwarze Sängerin singt von ihrem Land, das ihr Gott geschaffen hat, und sie singt für einen schwarzen Präsidenten, der so denkt, wie sie singt:

Sweet land of liberty,
Of thee I sing;
Land where my fathers died,
Land of the pilgrims’ pride,
From every mountainside
Let freedom ring!

Der Augenblick verging schnell, viel zu schnell. Heute beansprucht das weiße Amerika sein Land und seinen Gott wieder für sich. Donald Trump sagte von Aretha Franklin: "Sie hat für mich gearbeitet."

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