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Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine: Die größten Fehler des Westens


Angriff auf die Ukraine
Der Westen lag dreimal richtig daneben


Aktualisiert am 24.02.2023Lesedauer: 5 Min.
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Russia Ukraine War PutinVergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der Westen wollte es lange nicht glauben. (Quelle: Sergey Guneyev, Sputnik, Kremlin Pool Photo/ap)

Seit einem Jahr führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Er verläuft nicht so, wie Putin es sich vorgestellt hat. Aber auch im Westen gab es Fehleinschätzungen.

Als Joe Biden am Montag durch Kiew spazierte, zeigte er sich betont unbeeindruckt vom dröhnenden Luftalarm. Die Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin lautete: Der Westen wird nicht weichen.

"Als Putin vor fast einem Jahr seine Invasion startete, dachte er, die Ukraine sei schwach und der Westen sei gespalten", sagte der US-Präsident bei seinem Überraschungsbesuch in der Ukraine. "Er dachte, er könnte uns überrumpeln. Aber da hat er sich gewaltig geirrt."

Biden hat recht. Doch zur Wahrheit gehört: Der Westen hat sich auch geirrt. Mehrfach musste er vermeintliche Gewissheiten widerrufen. Einige haben sich länger gehalten, andere kürzer. Das sind die drei größten Irrtümer:

1. "Wladimir Putin blufft nur und greift die Ukraine gar nicht an."

Warnungen vor einem russischen Angriff gab es viele, und es gab sie früh. Schon im Oktober 2021 wies US-Präsident Joe Biden auf dem G20-Gipfel in Rom Deutschland und Frankreich daraufhin, dass seine Geheimdienste Beunruhigendes an der Grenze zur Ukraine beobachteten: bis zu 90.000 russische Soldaten, inklusive Sanitätseinheiten.

Im Sommer hatte Wladimir Putin einen Text veröffentlicht, in dem er der Ukraine das Existenzrecht als eigenständigem Staat abspricht. Trotzdem dauerte es noch bis weit in den Februar hinein, bis auch die deutsche Regierung fest mit einem Angriff Putins rechnete. Die USA und Großbritannien waren da schneller.

Doch sie hatten nicht nur lange Schwierigkeiten, die Deutschen zu überzeugen. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj blieb bis in den Februar hinein skeptisch. Will Russland nur Druck aufbauen? Um die Ukraine vom Westen fernzuhalten? Um ihrer Wirtschaft zu schaden?

Nein, Russland wollte die Ukraine angreifen. Die Bundesregierung wog die alarmierenden Erkenntnisse der Amerikaner gegen die des eigenen Bundesnachrichtendienstes ab. Der BND wird sonst für seine Russlandexpertise geschätzt. Diesmal hat er die Brisanz offenbar unterschätzt.

Selbst als die russischen Vorbereitungen für eine Invasion Mitte Februar abgeschlossen waren, gab der BND noch an, nicht genau zu wissen, was Putin vorhabe. Und das zu einem Zeitpunkt, als auch die Deutschen längst Informationen darüber hatten, dass Russland Blutkonserven an die ukrainische Grenze gebracht hatte. Für einen Bluff braucht es die nicht.

Die Fehleinschätzungen sollten bis zum 24. Februar weitergehen. So hat es die "Süddeutsche Zeitung" in einer detaillierten Darstellung der Monate vor dem Kriegsausbruch rekonstruiert. Nichts illustriert das besser als die Odyssee des BND-Chefs Bruno Kahl am ersten Tag des Krieges.

Kahl war damals nach Kiew gereist. Als am 23. Februar abends die deutsche Botschaft evakuiert wurde, wollte er nicht mit. Er blieb, um Termine am nächsten Tag wahrzunehmen. Doch am nächsten Tag herrschte Krieg. Und Kahl musste in einer abenteuerlichen Aktion nach Polen fliehen. Die Straßen waren verstopft, Panzer kamen ihm entgegen. Es dauerte 35 Stunden, bis der BND-Chef in Sicherheit war.

2. "Russland wird die Ukraine überrennen."

Am 24. Februar 2022 begann die russische Invasion der Ukraine. Und hätten die Experten damals recht behalten, wäre sie mittlerweile längst zu Ende.

"Russlands Streitkräfte sind viel größer und fähiger als das konventionelle Militär der Ukraine", schreibt das amerikanische Institute for the Study of War an diesem Tag in seiner Analyse. Wenn Putin entschlossen sei, werde Russland die Ukraine wahrscheinlich "in den kommenden Tagen oder Wochen" besiegen.

Die verteidigungspolitische Denkfabrik stand mit ihrer Einschätzung nicht alleine da. Es war der verbreitete Tenor der ersten Kriegstage, der auch in den Regierungen des Westens Widerhall fand: Lange hält die Ukraine das wohl nicht durch. Was anfangs eben auch die Überlegungen zur Unterstützung der Ukraine beeinflusste.

Die USA boten dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in diesen Tagen an, ihn in Sicherheit zu bringen. Die ukrainische Botschaft in London kolportierte Selenskyjs angebliche Antwort auf Twitter: "Der Kampf ist hier. Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit."

Ganz so theatralisch soll Selenskyj das Angebot zwar nicht abgelehnt haben, aber er blieb in Kiew. Und die Ukraine wehrte sich. Bald kam die russische Offensive kaum noch voran. Einige Experten erklärten dies zunächst damit, dass Putin seine Truppen auf einen Angriff auf Kiew vorbereitete. Um seinen Plan zu verwirklichen, die ukrainische Regierung schnell zu stürzen und durch moskautreue Marionetten zu ersetzen.

Im März griff Russland Kiew an. Doch der Erfolg blieb aus. Die Ukraine wehrte Putins Zangenangriff ab, seine Soldaten mussten sich zurückziehen. Und auch eine andere Prognose der Experten ist nach einem Jahr Krieg noch nicht eingetroffen: dass die Ukraine zwar tapfer kämpfe, aber die Russen am Ende übermächtig seien.

3. "Nord Stream 2 ist ein rein privatwirtschaftliches Projekt."

Am Anfang war Angela Merkel. Sie war es, die die russische Gaspipeline Nord Stream 2 einst als "rein privatwirtschaftliches Projekt" bezeichnete. Olaf Scholz hat sich dieser Erzählung lange angeschlossen. Noch Mitte Dezember, als Russland längst seine Truppen an der ukrainischen Grenze zusammengezogen hatte, nannte der Kanzler die Pipeline so.

Unpolitisch war Nord Stream 2 nie. Der eigentliche Bau der Pipeline begann, nachdem Putin 2014 die Krim völkerrechtswidrig annektiert hatte. Sigmar Gabriel, damals Vizekanzler und Wirtschaftsminister im Kabinett Merkel, sagte kürzlich in einem Interview, man habe die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Donbass nicht durch einen Stopp der Pipeline gefährden wollen. Politischer geht es kaum.

Als Scholz Mitte Dezember noch das Gegenteil behauptete, schrillten in Berlin längst die Alarmglocken. Deutschland bezog damals noch mehr als die Hälfte des Gases aus Russland. Und hatte wichtige Gas-Infrastruktur an Putin verkauft. Deutschland war erpressbar geworden.

Was das konkret bedeutete, zeigte sich längst: Der russische Staatskonzern Gazprom hatte den größten Gasspeicher im niedersächsischen Rehden im Dezember fast vollständig geleert. Auch die Jamal-Pipeline, die über Polen nach Deutschland führt, drehten die Russen mal wieder zu.

Während Annalena Baerbock für die Grünen schon Monate zuvor im Bundestagswahlkampf das Aus der Pipeline forderte und zu einer "zentralen geostrategischen Frage" erklärte, achtete Scholz noch bis in den Februar hinein peinlich genau darauf, sie öffentlich nicht einmal beim Namen zu nennen.

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Das führte zu tragikomischen Szenen, etwa als Scholz Anfang Februar im Weißen Haus neben Joe Biden stand. Der US-Präsident sagte auf der Pressekonferenz, sollten russische Truppen die Grenze zur Ukraine überschreiten, "wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben". Der deutsche Kanzler neben ihm wich den Fragen aus.

Erst am 22. Februar, nachdem Putin die sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk für "unabhängig" erklärt hatte, stoppte Scholz die Pipeline. Zwei Tage vor dem russischen Einmarsch. Einen Importstopp für russisches Gas als Sanktion gegen Putin hat die Bundesregierung nie verhängt. Zu groß war die Abhängigkeit, aus der sich Deutschland mühsam befreien musste.

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