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"Vereinte Patrioten": Das Staatsstreichkommando von der NVA


"Vereinte Patrioten"
Das Staatsstreichkommando von der NVA

  • Lars Wienand
Lars Wienand und Roland Sieber

21.04.2022Lesedauer: 8 Min.
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Sven B.: Der Buchhalter mit NVA-Vergangenheit ist einer der Köpfe der Gruppe, die mutmaßlich einen Blackout, die Entführung von Karl Lauterbach und einen Staatsstreich plante.Vergrößern des Bildes
Sven B.: Der Buchhalter mit NVA-Vergangenheit ist einer der Köpfe der Gruppe, die mutmaßlich einen Blackout, die Entführung von Karl Lauterbach und einen Staatsstreich plante. (Quelle: imago images, Screenshot Telegram, Montage: t-online.de)

Sie werden verdächtigt, dass sie einen Blackout auslösen und im entstehenden Chaos Entführungen und einen Putsch durchziehen wollten: Die beiden mutmaßlichen Anführer der "Vereinten Patrioten" verbindet eine Vergangenheit bei der Nationalen Volksarmee, zeigen Recherchen von t-online.

Ein Bild zeigt einen Soldaten der Nationalen Volksarmee, ein anderes den Schriftzug "Wir Deutschen Fuerchten Gott/Sonst nichts auf der Welt", ein Zitat von Otto von Bismarck. Beide Bilder sind aus dem Telegram-Profil eines Mannes, der früher NVA-Offizier war und Deutschland mutmaßlich zurück in die Zeit sprengen will, als die Bismarck'sche Reichsverfassung galt.

Der Mann heißt Sven B. und ist einer der Köpfe der "Vereinten Patrioten". t-online hat sich auf die Spuren der Gruppe gemacht, die verdächtigt wird, dass sie einen Blackout in Deutschland auslösen, Gesundheitsminister Karl Lauterbach entführen und putschen wollte. Frühere Soldaten mit Russlandnähe spielen die Hauptrolle.

In der vergangenen Woche gab die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz die entsprechenden Pläne bekannt. Die dortige Landeszentralstelle zur Verfolgung von Extremismus und Terrorismus (ZeT) hatte nach einem Hinweis des Verfassungsschutzes im Oktober 2021 die Ermittlungen aufgenommen.

Fast zur gleichen Zeit war im Telegram-Kanal "Tag X" ein zwei Jahre altes Video geteilt worden, das aus heutiger Sicht wie eine Blaupause wirkt: Mit einer Graphitbombe an einem Umspannwerk lasse sich durch Kurzschlüsse dort und eine Kettenreaktion das komplette Stromnetz lahmlegen. "Militärisch gesehen eine super Geschichte", heißt es im Video.

Der Blackout lief als "Silent Night"

"Silent Night" nannten die Verschwörer diesen Teil des Vorhabens laut Ermittlern – weil alles dunkel ist und vieles stillsteht. Die "Stille Nacht" sollte demnach der Auftakt für die weiteren Pläne sein: Prominente entführen, der Name Karl Lauterbach fiel. Dann eine neue Regierung installieren. Der möglichst mehrwöchige Stromausfall sollte großes Chaos und Unruhen schaffen und so die Erfolgsaussichten eines Umsturzes verbessern.

Der Blackout und die Vorbereitungen darauf waren immer Thema. Kurz nach Veröffentlichung des Videos zum Stromausfall wurde im Kanal auch "nur mal so als Frage" aufgeworfen, welchen Notfallplan die anderen hätten, wenn nach einem Blackout Bankkarten und Kreditkarten völlig wertlos wären. Die Antwort gab sich der Fragesteller Thomas O. aus Neustadt an der Weinstraße selbst.

Thomas O. ist neben Sven B. der mutmaßliche zweite Rädelsführer und in die Pläne eingeweiht. Seine Geldfrage beantwortet er so: "Für kurzfristige Tauschgeschäfte lohnt es sich, immer wieder über Silber nachzudenken. Das kann selbst täglich verwendet werden. Langfristig ist Gold."

Den Gedanken lebte er konsequent bis zu seiner Festnahme: Thomas O. hatte gerade Silbermünzen und Goldplättchen im Wert von 12.000 Euro übergeben, als der Zugriff der Polizei auf dem Parkplatz des Globus-Supermarkts im pfälzischen Neustadt an der Weinstraße erfolgte. Das Edelmetall sollte Anzahlung sein für Lang- und Kurzwaffen und Munition. Ein damit beladener Pkw sollte an O. übergeben werden. Doch der Verkäufer war ein verdeckter Ermittler.

Und Kollegen auch von Eliteeinheiten standen wenig später in 20 Wohnungen in ganz Deutschland. Zwölf Beschuldigte gibt es bislang, vier landeten in Untersuchungshaft, einer ist im Ausland. Am Dienstag wurde zudem ein Mann festgenommen, der mit Anschlagsdrohungen ihre Freilassung erpressen wollte.

Thomas O. und Sven B. gelten bis dato als die Köpfe der Gruppe. Dazu wurde in Bad Zwischenahn bei Oldenburg ein 42-Jähriger festgenommen, der das Geld und Silber zum Waffenkauf zur Verfügung gestellt haben soll. Der Verdacht gegen ihn: Terrorfinanzierung. Er ist bereits wegen einer Vielzahl von unterschiedlichen Delikten vorbestraft.

In Bayern bei Landshut stellten die Ermittler fest, dass sie einen Mann noch gar nicht richtig auf dem Radar hatten. Bei ihm fanden sich offenbar an vielen Stellen des Hauses Waffen und Waffenteile, neben einer Kiste mit Munition auch Langwaffen, Pfeile und eine Schnellfeuerarmbrust. Die Ermittler glauben: Er wollte seinen Waffenvorrat zur Verfügung stellen und selbst kämpfen. Deshalb wird er nun auch als ein Hauptbeschuldigter geführt, auch wenn er zuvor nicht so sehr wie die anderen im Netz aufgefallen ist.

Es zeigte den Behörden auch: Wer nur Zeuge ist, bei dem sich nur Beweise gegen andere finden und wer Beschuldigter ist, kann sich noch ändern. Es war auch die große Schwierigkeit im Vorfeld. In den Chats kamen und gingen die Mitglieder. Der harte Kern in der zentralen, nicht einfach zugänglichen Gruppe wird mit etwa 70 angegeben.

Terrorfantasien in vielen Gruppen

Die ermittelnde Staatsanwältin Daniela Fritz sagte in einem Interview mit dem wegen seiner Vergangenheit als Aktivist umstrittenen Videoreporter Martin Lejeune einen Satz, der die Probleme der Ermittler zeigt: "Es gibt zahlreiche Gruppen auf Telegram, die Angriffe gegen die Infrastruktur planen, sie aber nicht umsetzen." Die schwierig zu beantwortende Frage lautet: Wer von ihnen meint es ernst?

Die Gruppe um O. und B. habe sich immer konkreter um Waffen bemüht, ein Zeichen für ihre Entschlossenheit. "Nachdem es zur Übergabe der Waffen bei dem Scheingeschäft gekommen ist, bestehen da für uns keine Zweifel mehr."

Nun steht im Raum, dass die Ermittlungen vom Generalbundesanwalt übernommen werden. Dort wird geprüft, ob auch wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird – dann ist Karlsruhe zuständig.

Veteranen meldeten sich: "Sind hier"

Thomas O. und Sven B. machen offenbar erst seit Herbst gemeinsame Sache. Es lässt sich nachlesen in der Gruppe "Tag X". Dort herrschte nach dem Rückzug des damaligen Verantwortlichen aus Ostfriesland nach einer Razzia zunächst Verunsicherung.

Ein Nutzer schwärmte von "den Veteranen", da beklagte sich Thomas O. darüber, warum sie dann nicht in der Gruppe seien. Es war der Moment, in dem sich Sven B. kurz meldete, der Mann mit dem NVA-Bild. Er schrieb: "Sie sind hier."

Thomas O. und Sven B. vertrauten einander offenbar schnell, O. wurde zur wichtigsten Figur neben B. Beide sind nicht vorbestraft, heißt es von der Generalstaatsanwaltschaft. O. rühmte sich allerdings, er werde "polizeilich, juristisch als Nazi" geführt. Er sei "rächts, mit Stolz, als Thüringer, der in der Pfalz lebt".

B. und O. sind zwei Ostdeutsche, deren Militärkarrieren mit der Wiedervereinigung vorbei waren und die dieser Zeit beide mit Nostalgie nachhängen. Sie schwärmen von der Ausbildung dort. Aus Reihen früherer Bundeswehrsoldaten Mitstreiter zu finden, fiel offenbar schwerer.

Ich hoffe immer noch das [sic] Veteranen der Bundeswehr sich nicht nur verstecken, sondern sich Seite an Seite stellen mit NVA, immerhin geht es um Deutschland, nicht um ein [sic] Sandkasten.
Thomas O. im Januar.

Einer Datenbank und eigenen Angaben zufolge war O. von 1986 bis 1989 auf dem Küstenschutzschiff "Berlin" der 4. Flottille und schied als Stabsmatrose aus. Für B. endete demnach 1990 sein vierjähriges Studium an der Offiziershochschule der Landstreitkräfte in Zittau, Sektion Raketentruppen und Artillerie.

Er schied als Leutnant aus mit dem Mathematiker-Diplom in der Tasche. In einem beruflichen Profil als Dozent ist zu lesen, dass er dann zwischen 1990 und 1992 Auslandserfahrungen in Russland gesammelt hat.

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Über Sven B. ist in den vergangenen Tagen bereits einiges berichtet worden. Er lebte in einem Einfamilienhaus in Falkensee, im Keller fand sich ein Kalaschnikow-Sturmgewehr, der rbb berichtete auch von einer SS-Uniform. Der 54-Jährige ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und ist als Bilanzbuchhalter selbständig.

Am Haus von Grünen-Ministerin

Was nicht öffentlich bekannt war: Er hat schon bei mehreren abenteuerlichen Versuchen mitgemacht, die Regierung zu stürzen. Und er stand offenbar auch schon am Haus der Brandenburger Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Mit dem Kommentar "Wie konnte das passieren?" schickte er von dort aus ein Foto. Es zeigt einen neuen Aufkleber auf dem Briefkasten der Ministerin, ein Bild eines Kindes, das "wegen der Maßnahmen depressive Selbstmordkandidatin" sei. An seinem eigenen Briefkasten klebt: "Ich lass mich nicht impfen."

Veröffentlicht hat er das Bild vom Haus der Politikerin im Januar 2021 in einer Gruppe, in der es um einen "D-Day 2.0" gehen sollte. An dem Tag war geplant, dass kleine Gruppen Straßenabschnitte blockieren oder anderweitig Protest zeigen. Zum Teil kam es tatsächlich zu Staus. Nach Postleitzahlen sortiert gab es deutschlandweit "D-Day 2.0"-Gruppen, ein Vorgeschmack auf das Konzept, von dem später Thomas O. schreiben sollte: Es brauche voneinander unabhängige Zellen.

Ich kann nur eines tun, dir unseren Weg anbieten, der Weg, den wir gehen müssen um zum Ziel zu kommen. Dafür brauchen wir überall in ganz Deutschland kleine Zellen, wärst du bereit dafür?
Thomas O. am 4. November

Für Sven B. waren spätestens die D-Day-Fantasien sein Einstieg in die Umsturzwelt. Im April war er ein Gründer des "Veteranen-Pools", der sich auf Telegram mit Ländergruppen formiert, er wurde als "Chef des Stabes" geführt. Er plante und leitete Einsätze, bei denen Veteranen Corona-Demonstranten vor der Polizei schützen sollten. Tatsächlich tauchten bei einigen Demos Teilnehmer mit Barretten verschiedener Waffengattungen auf, und Sven B. war mehrfach darunter.

Marsch der Millionen war Pleite

Vielleicht hat zur Radikalisierung von Sven B. beigetragen, dass er beim ersten Anlauf zu Pfingsten in Berlin am 23. Mai 2021 mit seiner Gruppe schon auf dem Weg zu einer untersagten Demo von der Polizei gestoppt und er dabei verletzt wurde.

Er musste sich deshalb auch vier Wochen später gehandicapt auf Orga-Aufgaben beschränken, als es den nächsten Anlauf zum Umsturz gab: Der 19. Juni sollte der Tag sein, "an dem die neue Welt geboren wird". Ein Karlsruher Esoteriker hatte einen Marsch von Millionen Gegnern der Corona-Maßnahmen angekündigt.

Das sollte "gemeinsam den Rücktritt der Regierung durchsetzen", hatte er angekündigt. Es kamen nur ein paar hundert, und die Veteranen traten schnell den geordneten Rückzug an.

Die nächste Revolution am 18. September 2021 war in diversen monströsen Videos angekündigt, es sei in Berlin "Zeit es zu beenden", unter anderem Hunderte Landwirte mit Traktoren kämen. In manchen Chatgruppen galt es als ausgemacht, dass die Bundestagswahl danach nicht mehr stattfinden wird. t-online berichtete über die "peinlichste Revolution aller Zeiten".

Per Bändchen Putin-Sympathie

"Am Montag frühstücken wir im Kanzleramt", erklärte in einem Video ein Mann aus Ostholstein, der bereits Antreiber für den "D-Day 2.0" gewesen war. Er ist mit Sven B. vernetzt, sie engagierten sich zeitweise auch beide für DEU-NOD, die deutsche Kopie der "Nationalen Befreiungsbewegung" in Russland.

Es gab zeitweise Demos mit Grüppchen von DEU-NOD-Unterstützern, zu erkennen an schwarz-orangenen Bändchen. Es sind Georgsbändchen, ursprünglich eine militärische Auszeichnung im russischen Kaiserreich, in Russland heute wichtigstes Zeichen der Erinnerung an den Sieg im Deutsch-Sowjetischen Krieg und inzwischen Signal für Putin-Unterstützung.

Als Sven B. ein Foto seiner Medaille als NVA-Veteran postete, lag die auch auf einem Georgsband. Die Sympathiebekundung könnte ein anderes Rätsel lösen. In vielen Medien wird berichtet, dass er Sven Georg B. heißt, er selbst nutzt auch den Nutzername @Georg_im_Widerstand. Nur: Der Vorname Georg ist nicht eingetragen. Er hat nur den Vornamen Sven.

Von der Generalstaatsanwaltschaft heißt es, für die Ermittlungen würden bislang weder die Bezüge zu der putinfreundlichen Szene und zu früheren dilettantischen Umsturzversuchen noch der militärische Hintergrund der Beschuldigten eine Rolle spielen. Er könnte aber für die Ermittler Anlass gewesen sein, den Verdacht sehr ernst zu nehmen.

Die Bedeutung der Vernetzung offline spielte immer wieder eine große Rolle in den Chats. Dafür nutzte Sven B. mit seinem Umfeld auch das Hochwasser an der Ahr, Veteranen richteten einen Stützpunkt in einer Schule ein. Tatsächlich lobten Anwohner auch die Hilfe, interne Chats lassen aber Zweifel zu, ob es nur ums Helfen ging. Sicherheitschef und Leiter vor Ort war ein Verantwortlicher der Thüringer Veteranen aus Eisenach. Auch dort wurde jetzt durchsucht.

"Ich hoffe, Ihr seid gut vorbereitet"

In den vergangenen Tagen hatte sich die Lage offenbar zugespitzt. Sven B. wollte öffentliche Aufrufe einstellen. "Kameraden, Achtung ‼️ Ich hoffe ihr seid gut vorbereitet und bereit", schrieb er am 11. April den Veteranen. "Wer die Chance nutzen will, mitzumachen, sollte sich zeitnah per PN an einen Admin wenden."

Drei Ansprechpartner hatte er dafür vorher genannt: Sich selbst, Thomas O. – und einen Mann aus Heide unweit der Nordsee. Dieser Mann nennt sich "Phöenix", will "Patriot, kein Nationalist" sein, beschreibt sich als Punk und ist weiter im Veteranen-Pool aktiv.

Er hat dort in der vergangenen Woche berichtet, CDU-Ministerpräsident Daniel Günther bei einem Wahltermin bepöbelt zu haben. Nun schlägt er eine Umbenennung des "Veteranen-Pools" vor, "nach dem ganzen Pressescheiß". Und er hat noch einen Vorschlag: "Wollen wir uns auch mal ein Ziel setzen, das erreichbar ist?" Phöenix wird bisher nicht als Beschuldigter geführt.

Verwendete Quellen
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