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Türkei-Erdbeben – Retter berichtet: "Das war nur schwer zu ertragen"


Bayer hat in Erdbebenregion geholfen
"Das Schlimmste war, als sie die toten Kinder rausgetragen haben"

  • Meike Kreil
InterviewVon Meike Kreil

Aktualisiert am 22.03.2023Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Szene aus der Stadt Gaziantep: In der Erdbebenregion in der Türkei sind bis zu 70 Prozent der Häuser einsturzgefährdet. (Quelle: Murat Kocabas/imago images)

So viel Leid – aber auch Hoffnungsschimmer: Nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien beginnt jetzt der Wiederaufbau. Gökhan Altincik aus Bayern hilft mit.

Gökhan Altincik hat ereignisreiche Wochen hinter sich. Der Rettungssanitäter war für den privaten Rettungsdienst RKT noch bis Donnerstag im Katastrophengebiet, um beim Wiederaufbau der Türkei und Syrien zu helfen. Nach Hause kam er zwischendurch, um Spenden und Hilfsmittel zu sammeln. Nun ist er vorerst wieder bei seiner Familie, schläft wieder im eigenen Bett. Im Interview erzählt der 47-jährige Bayer von Machtlosigkeit, Chaos – und der Wirkung von Schokolade.

Wie ist die Situation vor Ort?

Es herrscht immer noch Chaos. Es fehlt an Geld, Essen – an allem. Die Angst ist groß: davor, wie es weitergeht und vor weiteren Beben. Nicht nur in der Erdbebenregion, sondern im ganzen Land. Die Menschen trauen sich nicht mehr in ihre Häuser, weil es unter dem nächsten Beben zusammenfallen könnte. Und ein solches kann jederzeit kommen.

Sie haben auch Nachbeben miterlebt. Wie haben die Menschen reagiert?

Es waren eher leichte Beben, dennoch brach Panik aus. Weitere starben. Weil Häuser, die sowieso schon instabil sind, dem nicht standhalten – und die Leute darin unter sich begraben. Aber was sollen die Menschen machen? Sie müssen auch mal rein zum Duschen oder aufs Klo. Die meisten schlafen draußen in Zelten. 60 bis 70 Prozent der Häuser sind nicht mehr bewohnbar.

Wie sah Ihr Tagesablauf aus?

Die türkische Botschaft hat den RKT kurz nach dem Beben angefragt, ob er helfen kann. Wir haben sofort zugesagt. Drei Tage später saßen wir von Nürnberg aus im Flieger in Richtung Türkei. Insgesamt war ich jetzt dreimal unten, im Süden der Türkei: einmal in Antakya und zweimal in Kirikhan. Vor Ort haben wir den Überlebenden mit Nahrungspaketen geholfen – sie besorgt, koordiniert, verteilt. Dazu waren wir im Austausch mit dem Bürgermeister oder den Ämtern. Die Situation war teils sehr chaotisch, man muss viel diskutieren. Es braucht Dolmetscher, mein Cousin, der von dort stammt, hat uns ausgeholfen.

Oder wir waren in Flüchtlingscamps. 204 Kinder haben wir unterstützt, sie begleitet. Sie sind jetzt Waisenkinder. Ihnen haben wir fünf Taschen voller Schokolade gebracht. Die haben sich vielleicht gefreut. Zumindest einen Moment lang.

Jetzt, wo Sie wieder zu Hause sind: Wie gut können Sie noch schlafen?

Es gab einige Erlebnisse, die mir nachgehen. Das Schlimmste war, als sie die toten Kinder aus den Trümmern getragen haben. Die habe ich mit einer Plane abgedeckt. Das war nur sehr schwer zu ertragen, auch nach 30 Jahren Rettungstätigkeit. Das haben wir dann im Team in der Nachsorge nachbesprochen, das ging allen sehr nah. Da fühlt man sich so machtlos. Natürlich ist es auch traurig, wenn wir die Leiche eines 80-Jährigen bergen. Aber bei einem Kind von gerade mal fünf, sechs Jahren ist es noch mal etwas anderes. Das hatte sein Leben noch vor sich. Jetzt bin ich einfach froh, wieder zurück bei meiner Familie und meinen Kindern zu sein.

Kann man sich so einfach wieder ins normale Leben stürzen?

Natürlich denke ich noch dran. Und auch an all jene, die noch in den Trümmern liegen. Aber im Alltag verdrängt man das. Es muss weitergehen. Außerdem tut es gut zu wissen, dass ich den Menschen dort zumindest ein bisschen helfen konnte – und sich bewusst zu werden, in welchem Luxus wir hier leben.

Sie waren insgesamt zu zwölft in der Region. Als wir uns vor Ihrer Abreise am Flughafen Nürnberg begegnet sind, wussten Sie noch nicht, was Sie erwartet. Wo sind Sie alle untergekommen?

Wir haben mal hier, mal da geschlafen. Mal in einem Auto, in einem Zelt, in einem Gebetsraum oder outdoor. Viele Möglichkeiten gibt es nicht. Im Hotel übernachten kannst du da natürlich nicht.

Wie geht es dort jetzt weiter?

Hunderte Lkw mit Containern aus aller Welt sind gerade auf dem Weg in die Region. Das bringt Hoffnung. Bevor diese vorübergehenden Unterkünfte jedoch errichtet werden können, heißt es: erst die Häuser abreißen, den Schutt wegschaffen. Es wird noch Jahre dauern, bis dort einigermaßen wieder Normalität einkehrt – soweit man von Normalität sprechen kann. Und noch deutlich länger, bis neue Häuser gebaut werden. Zehn Jahre bestimmt. Wir reden hier von einem riesigen Gebiet – vergleichbar mit der Fläche von Deutschland. Eine Frage ist auch, wann die Schulen wieder aufmachen werden.

Haben Sie das nächste Flugticket schon gebucht?

Nein. Weil wir das spontan machen. Es besteht nach wie vor ein enger Austausch mit den Kräften und Behörden vor Ort. Wir müssen erst noch schauen, wo wir diesmal am meisten gebraucht werden.

Die Truppe des RKT vor dem Abflug in die Türkei im Februar.
Die Truppe des RKT vor dem Abflug in die Türkei im Februar. (Quelle: Meike Kreil)

Das ist RKT

RKT Holding OHG ist ein privater Rettungsdienstanbieter mit Sitz in Regensburg und Standorten unter anderem in Nürnberg und Bamberg mit 350 Mitarbeitenden in ganz Ostbayern. Die Aufgabengebiete: Fahrdienste für Kranke oder Menschen mit Behinderung, Notfallrettung und Organ- und Knochenmarktransporte.

Adressiert, an die diejenigen, die helfen wollen: Wie können sie das von Deutschland aus Ihrer Meinung nach am besten tun?

Indem sie Geld spenden und weniger Sachen. Sachspenden bringen nicht so viel, müssen erst Grenzen passieren und so weiter. In der Türkei und in Syrien kann man für zehn Euro das Doppelte kaufen. Mit Geld können die Hilfsorganisationen vor Ort gezielt das einkaufen, was die Menschen dort brauchen.

Es gab Kritik, dass die Spendenbereitschaft gegenüber der Türkei und Syrien weniger hoch sei als etwa bei der Ukraine. Dort waren Sie ja auch vor einem Jahr zu Beginn des Angriffskriegs. Wie sehen Sie das?

Auf jeden Fall habe ich sehr viele Spenden gesehen, auch aus Deutschland. Ob das jetzt mehr oder weniger für die Ukraine war, kann ich nicht beurteilen. Ich habe die Behörden als sehr engagiert wahrgenommen. Aber es bringt ja auch nichts, den einen gegen den anderen auszuspielen. Dort hat es auch Beschwerden gegeben: Die eine Partei spende nur an der einen Stelle und nicht an der anderen. Aber das ist bei allem Verständnis doch traurig. Es dauert halt einfach, bis die Hilfe ankommt – Deutschland liegt nicht um die Ecke.

Schade ist, dass die Erdbebenkatastrophe aus dem Fokus der Medien geraten ist.

Dem versuchen wir, mit dem Interview entgegenzuwirken. Vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Telefonat und persönliche Begegnung mit Gökhan Altincik
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